Historischer Erfolg, oder historischer Fehler ? Frieden im Nahen- und Mittleren Osten hat das Abkommen nicht gebracht. Was dann?

 

 

Die Ansichten könnten nicht weiter auseinandergehen. Die einen loben das Atomabkommen mit dem Iran als historischen Erfolg. Israels Regierungschef verurteilt es als historischen Fehler. Saudi-Arabien, der zweite Erzfeind Teherans, und seine arabischen Nachbarn, die Golfstaaten poltern nicht so laut. Die dort herrschenden Eliten denken aber nicht viel anders.


Es stimmt, wenn Iran sich an die Vereinbarungen des Abkommens hält, ist das im Ergebnis eine der wenigen Sternstunden der Diplomatie in der Krisenregion Naher- und Mittlerer Osten.


Möglich war das vor allem, weil es gelang, die fünf Vetomächte im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ( USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien ) und Deutschland zu einer gemeinsamen diplomatischen Aktion zusammenzubinden.


Doch gewonnen ist nur Zeit, wahrscheinlich kaum mehr als 10 Jahre. Solange sieht das Atomabkommen Kontrollen der Internationalen Atomenergiebehörde in Iran vor. Keiner glaubt aber ernsthaft, dass der Iran in der Zwischenzeit seine Absicht aufgegeben wird, eine Atommacht zu werden. (siehe auch Artikel (Außenpolitik) : Die iranische Bombe). Der Konflikt zwischen dem Iran, der Atommacht werden will und seinen Verhandlungspartnern, die das verhindern wollen, ist nicht gelöst, sondern nur aufgeschoben.


Teheran hat in den vergangenen Jahrzehnten Zug um Zug gelernt, wie Uran (auch für den Bau einer Atombombe) angereichert wird. Dieses Wissen bleibt im Land – auch wenn hoch angereichtes Uran vernichtet wird und Zentrifugen abgebaut werden, die man zum Anreichern des Uran benötigt. Was, wenn Iran nach Ablauf dieser Zeit sein Atomprogramm wieder aufnimmt? Möglich wäre das wohl ohne größere Probleme.


Natürlich könnten in diesem Falle auch die USA alle Sanktionen – vom Wirtschaftsembargo bis zur militärischen Intervention – wieder auf den Tisch legen. Der Unterschied wäre: Bis dahin sind 10 bis 15 Jahre vergangen, d.h. keiner ist mehr derselbe wie heute.


Werden die USA in 15 Jahren noch die Weltmacht Nummer 1 sein? Und wie wird sich der Iran in den kommenden 15 Jahren entwickeln, wenn alle Wirtschaftssanktionen aufgehoben sind? Die Türkei wurde in den letzten 15 Jahren vom „kranken Mann am Bosporus", vom größten Schuldner des Internationalen Währungsfonds (IWF), zu einem G-20 Mitglied, also einem Land, das sich zu den 20 wichtigsten der Welt zählen kann.


Mit dem Abkommen wurde Zeit erhandelt, eine Zeit ohne weiteren Krieg. Das ist wahrlich ein Erfolg. Nicht weniger wichtig aber ist, wie beide Seiten diese Zeit nutzen.


Auch nach der Unterzeichnung des Abkommens ist der Iran für Amerika ein Staat mit einem Mullahregime, mit dem es weltweit viele Konflikte gibt. Verbündete werden Washington und Teheran so rasch nicht werden. Aber warum kein pragmatisches Verhältnis wie beim Kampf gegen den IS in Syrien? Der Iran ist ausdrücklich kein Mitglied der Koalition gegen den IS, aber für beide ist der IS ein Feind. Also wirken die Obama-Regierung und Teheran bei ihrem Kampf gegen den IS schon jetzt zumindest informell zusammen. Ein pragmatisches Verhältnis zueinander könnte auch andere Konflikt im Nahen und Mittleren Osten entschärfen helfen – und Amerika mehr Spielraum verschaffen, sich auf ihre strategischen Interessen im Pazifik zu konzentrieren. Aber wer kommt nach Obama? Werden die USA die im Abkommen festgelegten Kontrollen auch nutzen, die Souveränität Teherans zu unterlaufen, oder gar auf einen Regimewechsel hinzuarbeiten? Hoffen sie, in 15 Jahren ein Regierung vor sich zu haben, die leichter händelbar ist?


Einen Regimewechsel in Teheran hat das Atomabkommen zunächst eher in weite Ferne gerückt. Deshalb haben ihm selbst die iranischen Hardliner zugestimmt. Sind die Sanktionen aufgehoben, steigt endlich der Lebensstandard im Iran und die Mullahs haben vor allem wirtschaftlich mehr Möglichkeiten, ihren Rückhalt im Land zu festigen. Ob dem auch mehr Freiheiten für die Menschen folgen, ist offen. Bislang ist von einem Neuanfang unter dem „Reformer Rohani" – wie der iranische Staatspräsident in der Presse immer wieder genannt wird – nichts zu sehen.


Außenpolitisch hat die Regierung schon mit der Unterzeichnung des Abkommens gewonnen. International isoliert war das Land nie, aber jetzt ist es auch auf der diplomatischen Bühne des Westens wieder willkommen.


Das ist der eigentliche Grund für die Ablehnung des Abkommens in Tel Aviv und am Golf. Es ist nicht die Angst vor einem möglichen Atomschlag der iranischen Armee. Die Regierung in Teheran weiß: Es wäre Selbstmord, eine Rakete mit einem atomaren Sprengkopf abschießen, wohin auch immer. Der Gegenschlag wäre ungleich verheerender. Der mögliche wirtschaftlichen Aufschwung und eine breite diplomatische Anerkennung stärkt aber die Rolle des Iran als Akteur im Nahen und Mittleren Osten. Das wollen Israel und die Staaten am Golf seit langem verhindern.


Zweifellos wird der Iran die Mittel nutzen, die durch die Aufhebung des Embargos frei werden, um sich noch stärker als bisher in den Kriegen in Syrien, im Irak und im Jemen einzumischen.
Wie werden die anderen Akteure in der Region damit umgehen – die kommenden Jahre nutzen? Darüber wird z.B. in der Türkei schon laut nachgedacht.
Auch Ankara ist nicht begeistert, dass der persische Nachbar nun mächtiger wird. Er war immer auch Konkurrent in der Region. Und jetzt ? Mehr Konfrontation oder mehr Kooperation ? Der türkische Finanzminister Simsek begrüßt das Abkommen erst einmal als „großartige Nachricht für die türkische Wirtschaft. Immerhin sei das Handelsvolumen zwischen beiden Staaten von zwischen 2011 und 2014 aufgrund des Wirtschaftsembargos von 22 Mrd USD auf unter 14 Mrd USD gesunken. Jetzt nimmt man am Bosporus ein Handelsvolumen von 30 Mrd USD in den Blick.


Der türkische Staatspräsident Tayyip Erdogan meinte jedoch erst vor wenigen Wochen: Das Streben Teherans nach mehr Macht in der Region sei inakzeptabel. (siehe auch Artikel (Aussenpolitik): Neuer Krieg, neues Glück) Der türkische Außenminister Cavusoglu legte gestern (14.07) noch einmal nach. Er forderte Teheran auf, seine „sektiererische (Aussen-)Politik" aufzugeben.


Mittlerweile sind die beiden Staaten, die an Einfluss in der Region verlieren könnten, die Türkei und Saudi-Arabien, enger zusammengerückt. Nicht wenige am Bosporus vermuten auch, Ankara wolle vor allem deshalb Atomkraftwerke im eigenen Land, um sich selbst das nötige Know-How zum Bau einer Atombombe anzueignen.

 

Das Atomabkommen hat keinen Frieden in der Region gebracht, sondern zunächst nur einen weiteren Krieg verhindert – und den Staaten ein paar Jahre Zeit verschafft. Es wird sich zeigen, ob sie zu mehr Diplomatie genutzt wird. Wie die Verhandlungen über das Atomabkommen gezeigt haben, können selbst sehr komplizierte Gespräche erfolgreich sein, wenn viele Seiten eingebunden sind. In diesem Falle saßen alle wichtigen Mitglieder des UN Sicherheitsrates an einen Tisch. Das hätten viele angesichts des Konfliktes um die Krim und die Ukraine und des vielbeschworenen neuen „Kalten Krieges" nicht für möglich gehalten.


Vielleicht aber entstehen in der nächsten Zeit auch nur neue Kriegskoalitionen. Noch ist nicht einmal klar, ob Teheran in dieser Zeit nicht seine „langjährigen Erfahrungen" im Täuschen und Verbergen nutzt, um weiter an einer Atombombe zu bauen.