Dieter Sauter - Der türkische Krummsäbel

Details: Erstellt: 12. Januar 2019

Ob der Oberbefehlshaber der türkischen Streitkräfte, Tayyip Erdogan, noch einmal von seiner Kriegsrhetorik abspringen wird, weiß nur er. Aber ist die türkische Armee zu einer erneuten Invasion in Syrien überhaupt in der Lage? Wie steht es um die Streitkräfte Ankaras und ihrer Führung?

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Fast täglich versichert der ehemalige Generalstabschef und heutige Vereidigungsminister Hulusi Akar an der türkisch-syrischen Grenze den Berichterstattern regierungsnaher Blätter: Die Pläne zum Einmarsch in Syrien seien fertig. Die Vorbereitungen dazu gingen ‚mit Hochdruck’ weiter. Die Republik Türkei sei fest entschlossen, im eigenen Land und auch jenseits der Grenze dem Terror den Garaus zu machen, oder wörtlich: Wir werden sie in den Löchern, die sie gegraben haben, beerdigen.

Danach lässt er die schweren Waffen fotografieren und filmen, die an die syrische Grenze geschafft wurden. Doch der Revolverheld im alten Westernfilm sagt dazu: Es kommt nicht auf die Waffe an, sondern auf den Mann, der sie trägt.

Misstrauen

Wie steht es um die türkische Armee und ihre Führung? Mittlerweile hat die Politik in Ankara die Führung über alle Teilbereiche der Armee übernommen - aber nach wie vor liegt eine dicke Decke des Schweigens über dem, was sich hinter dem Stacheldraht auf den Kasernenmauern tut. Zwischen den Zeilen der Sonntagsreden über die Armee hört man nach wie vor das Misstrauen der Politik in die Militärs, insbesondere nach dem Putschversuch 2016.

Ende 2017 feiert der erste Jahrgang von Offizieren der Militärakademie nach dem versuchten Militärputsch im Sommer 2016 seinen Abschluss. Auch Tayyip Erdogan tritt dort auf. Er verspricht: Die Säuberungen in der Armee seien abgeschlossen. Das Militär sei nun „vollständig frei vom Gift der Putschisten“ und der Anhänger der Bewegung des Predigers Fetullah Gülen (die er Fetullah-Terror-Organisation FETÖ nennt).

Das sollte wohl die Militärs beruhigen. Deren Reihen waren durch tausende Ermittlungsverfahren, unehrenhaften Entlassungen und Verhaftungen mehr als nur durcheinandergewirbelt worden. Bis Anfang 2017 hatte Erdogan per Dekret bereits 20 tsd Offiziersanwärter aus den Militärakademien entfernt. Aus der Armee waren rund 23 tsd. Militärangehörige hinausgesäubert worden, die meisten waren Offiziere.

Der Armee fehlt auf einen Schlag ein wichtiger Teil ihrer Führung

Bei der Abschlussfeier in der Militärakademie meint Tayyip Erdogan dazu: „Diejenigen, die die Macht in unserem Land an sich reißen wollten, begannen hier (mit ihrer Wühlarbeit) in den Militärakademien. Es ist sehr wichtig (zu verstehen), dass fast alle Offiziere in den höheren Rängen, die in den letzten 10 Jahren (!) an den Militärakademien ausgebildet wurden, mit den Putschisten zusammenarbeiteten.“

Kurz: Der Armee fehlte auf einen Schlag ein wichtiger Teil ihrer Führung.
Anfang letzten Jahres suchte der damalige Verteidigungsminister (Nurettin Canikli) für die türkische Armee dringend 6.000 Unteroffiziere und knapp 4.000 Offiziere. Generäle hatten die Streitkräfte gerade noch etwas mehr als halb so viele wie vor dem Putschversuch im Sommer 2016. Noch 2017 hatten 7 Generäle und Admirale sowie ein Flottenkommandeur‚um Versetzung in den einstweiligen Ruhestand’ gebeten. Jeder weiß auch: Erfahrene Befehlshaber in der Armee bildet man nicht in zwei Jahren aus.

Besonders krass war der Mangel an Kampfpiloten in der Armee. Statt 1.350 waren es nur noch 670. Der Versuch, die Lücken mit Piloten aufzufüllen, die bereits im Ruhestand waren, schlug fehl. Statt ein paar hundert meldeten sich nur 50 wieder zum Dienst. Die Lage war so kritisch, dass Ankara Kampfpiloten aus Pakistan anwerben wollte. Doch die USA sagten dazu nein, denn die türkische Luftwaffe fliegt F-16 Kampfjets aus Amerika.

Säuberungen und kein Ende

Trotz Erdogans Versprechens, auch 2018 war nicht Schluss mit den Säuberungen in der Armee. Gegen hunderte aktive Militärs wurden Haftbefehle erlassen – Einzelheiten kann man in der regierungsnahen Presse nie erfahren. Erstaunt liest man zum Beispiel‚ dass ‚18 Generäle wieder auf freiem Fuß’ seien, von deren Verhaftung nie etwas bekannt wurde, auch nicht, wie lange sie in Untersuchungshaft saßen. Dass ständige Razzien, Anzeigen oder Denunziationen im Offizierskader Unruhe, Unsicherheit und Misstrauen schaffen, liegt auf der Hand.

Dass dies die Schlagkraft und Einsatzbereitschaft der türkischen Armee erheblich beeinträchtigt, ist kein Geheimnis. Militärbeobachter glauben, dass auch deshalb die türkischen Streitkräfte bei ihrer letzten Invasion in Syrien fast zwei Monate brauchten, um die gut 20 km von der türkisch-syrischen Grenze entfernt liegenden Stadt Afrin zu erreichen. Offenbar hat sie dabei auch erheblich mehr schwere Waffen und Gerät verloren, als dies angesichts der schlechten Bewaffnung der gegnerischen Einheiten zu erwarten gewesen wäre.

Trotz strenger Zensur erfährt man außerdem gerade in letzter Zeit immer wieder von besorgniserregenden Vorgängen im türkischen Militär. Da stellen die Piloten bei einem Kampfeinsatz fest, dass ihre Jets mit den falschen Bomben beladen sind. Soldaten ertrinken bei Starkregen in ihrem Panzern, andere erfrieren auf Wache. Ein Munitionsdepot fliegt in die Luft mit 7 Toten und 25 Verletzten. 48 Soldaten müssen wegen Befehlsverweigerung vor Gericht und der ehemalige kommandierende General der letzten Syrien-Invasion (Afrin) wird an einen Schreibtisch in Ankara versetzt. Über die Gründe gehen allerlei Gerüchte um. Man habe ihn bei Auszeichnungen übergangen, er sei beleidigt, weil keiner seinen Empfehlungen folge, oder, er habe sich kritisch zu der bevorstehenden Militäroperation in Syrien kritisch geäußert. Was stimmt, bleibt unklar.

Eine schwere Niederlage

Der Führer der extrem rechtsnationalistischen Partei MHP (Graue Wölfe) in Ankara, Devlet Bahceli, ist seit einigen Monaten ein Koalitionspartner der Regierungspartei AKP von Tayyip Erdogan. Er droht, der Himmel über Nordsyrien werde beim Einmarsch der türkischen Armee erzittern. Dabei geht gerade durch die Nachrichten: Die türkische Armee musste bei ihrem Einsatz in der syrischen Region Idlig eine schwere Niederlage einstecken. Nach einem „Friedensplan“ für die Region sollten die türkischen Streitkräfte für die Entwaffnung der Rebellen in der Region Idlib nahe der türkischen Grenze sorgen. Jetzt wurden ihre Verbündeten durch den Al Kaida Ableger HTS (Heyet Tahrir el Sam) vertrieben.

Die türkische Armee ist nicht nur eingeklemmt zwischen den Interessen Russlands und denen der USA (siehe auch 'Schiessen türkische Soldaten auf GI's'?). Sie ringt offenbar selbst bei begrenzten Operationen mit ihrer Einsatzfähigkeit.